Visualisierung des Nürnberg Fürther Stadtkanals © NFSK e.V.

Canale Grande – Utopie: Der Frankenschnellweg wird zum Stadtkanal

Seit Jahrzehnten erhitzen sich die Gemüter an dem Ding. Die einen, weil sie hier ständig im Stau stehen, die anderen, weil sie als Anwohner Abgase und Lärm ertragen müssen. Die Rede ist vom größten Zankapfel der Nürnberger Lokalpolitik, dem Frankenschnellweg (FSW), über den sich täglich bis zu 60.000 Fahrzeuge wälzen. Dessen kreuzungsfreier Ausbau ist das derzeit größte Infrastrukturprojekt in Nürnberg. Dafür soll ein 1,8 Kilometer langer Tunnel entstehen, der Lärmschutz garantieren und unter einem neuen Stadtpark verschwinden soll. Kostenpunkt: nach momentanem Stand 660 Millionen Euro. Doch ist es das wert? Und hat diese Idee vor allem noch Zukunft?
Ein radikal anderer Vorschlag zur Lösung des Problems kam daher Ende 2020 ins Spiel, als der „Nürnberg-Fürther Stadtkanalverein e.V.“ seine Ideen zum Thema vorstellte. Was es damit auf sich hat, haben wir uns vom Vereinsvorsitzenden Theobald Fuchs erklären lassen.
Wie würdet ihr euer Projekt, kurz zusammengefasst, beschreiben?
Wir entwickeln einen Plan, wie die innerstädtische Autobahn, der „Frankenschnellweg“, durch eine grüne Kanallandschaft ersetzt werden kann, die für alle Bürger*innen Vorteile bereit hält: Bessere Luft, Kühlung in heißen Sommern, Freizeit, Radschnellwege, Hunderte Kleingärten, Sportmöglichkeiten, Flächen für Schulen und Vereine.
Auf den ersten Blick mutet die Idee, eine hochfrequentierte Stadtautobahn zu einem Wasserweg umzubauen, extrem exotisch an. Wie seid ihr darauf gekommen und hat man euch überhaupt ernstgenommen, als ihr mit der Idee an die Öffentlichkeit gegangen seid?
Modell des Nürnberg Fürther Stadtkanals © NFSK e.V.Wenn man sich ein wenig mit dem Thema beschäftigt, wird schnell klar, dass die Idee alles andere als exotisch ist. Andere Städte haben bereits die Umwandlung einer Straße in eine Wasserlandschaft vollbracht – Seoul, Utrecht, Siegen. Und wenn die Meisten ein Weilchen nachgedacht haben, erkennen sie die riesigen Chancen, die ein Kanal mit Grün, Freiräumen und Booten einer Stadt im 21. Jahrhundert bietet. Wir bekommen oft zu hören, dass unsere Idee sogar der (bisher) vernünftigste Vorschlag zur Lösung des FSW-Problems sei.
Der Frankenschnellweg ist seit langem ein heißes Eisen in der Nürnberger Lokalpolitik und in der öffentlichen Diskussion sowie vor Gericht hoch umstritten. Wie waren die Reaktionen von offzieller Seite, als das Thema noch eine andere, gänzlich unerwartete Facette bekam?
Die politischen Mühlen mahlen langsam. Das wissen und verstehen wir. Wir suchen hartnäckig das Gespräch mit allen demokratischen Parteien und es kommen verhalten positive Signale. Aber noch will es sich niemand mit der Autofahrer-Lobby verderben. Gleich auf zehn Kilometern eine neue grüne Lunge für Nürnberg zu schaffen, ist der weitreichendste Alternativvorschlag zum FSW. Wir konzentrieren uns auf eine Neugestaltung der Stadt. Die ist in unseren Augen, angesichts Umwelt- und Klimakrise, dringend notwendig. Wir bekommen viel Zuspruch von jungen Menschen, die langfristig in Nürnberg leben wollen und eine gewisse Qualität fordern, was Lärm, Luft, Hitze, Feinstaub usw. anbelangt. Man darf uns dabei nicht falsch verstehen: Wir verteufeln nicht das Auto an sich und es gibt Leute, die darauf angewiesen sind. Aber inzwischen sind die Verhältnisse im Viertel und auf den Straßen sogar für Autofahrende ein Albtraum.
Das bringt uns zu der Frage, die wahrscheinlich immer gestellt wird: Wo sollen denn die vielen Autos sonst hin, die täglich über den FSW rauschen?
So wie jedes Dorf seine Umgehungsstraße hat, führen auch um Nürnberg herum weiträumig Autobahnen. Hier muss der Transitverkehr hin, der in Wohnvierteln nichts zu suchen hat. Ein Teil des derzeitigen Verkehrs wird vom Kanal übernommen, dank VGN-Bootsverbindungen und Radschnellwegen. Der Rest verteilt sich oder verschwindet – weil die Leute weniger fahren werden. Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass gut ausgebaute Stra-
ßen Autos anlocken. Verkehr wird erzeugt, indem man Raum dafür schafft. Umgekehrt wird ein Rückbau von Straßen den Verkehr vermindern. Beim geplanten Ausbau des FSW würde übrigens das Gleiche passieren. Während zehn bis zwölf Jahren Bauzeit ginge kaum noch etwas vor oder zurück. Die Autofahrer*innen würden sich eh nach einer Alternative umsehen müssen.
Könnten die Städte Nürnberg und Fürth das überhaupt alleine entscheiden, wenn eine Autobahn betroffen ist, die ja vom Bund verwaltet wird?
Visualisierung des Nürnberg Fürther Stadtkanals © NFSK e.V.Ein interessanter Punkt. Momentan wird die Autobahn als Kreisstraße deklariert, heißt: Die Stadt Nürnberg ist zuständig, obwohl der FSW auf der Trasse des alten Ludwig-Donau-Main-Kanals verläuft und demnach die Fläche dem Land Bayern gehört. Nürnberg muss für die Folgekosten zahlen: Reparatur, Lärmschutz, Ampelanlagen, Reinigung usw. Alles Kosten, für die nichts zurück kommt. Da die Landes- und Kommunalpolitik in Bayern relativ stark aufeinander abgestimmt sind, denken wir: ja. Würden die Städte sich entscheiden, ginge das Land mit.
Öffentliche Großprojekte dauern in Deutschland oft extrem lange in der Umsetzung. Seht ihr euch als Verein eher als Ideen- und Anstoßgeber oder möchtet Ihr die Umsetzung auch mitverantworten/-gestalten? Wie ginge das praktisch?
Unsere Vereinssatzung sieht vor, dass der zukünftige Kanal in Form einer Genossenschaft betrieben wird. Diese würde die Nutzung der gemeinschaftlichen Flächen regeln: Radwege, Gartenparzellen, Schwimmbäder, Gewerbegebiete, Biergärten, das Freilicht-Auditorium. Die Stadt würde aber auch einen Teil der Flächen übernehmen. Die VAG entwirft einen neuen Netzfahrplan mit Boots-Linie. Gemeinschaftliche Flächen würden nicht verkauft, sondern verpachtet. Die ca. 40 Hektar, um die es geht, sollen im Besitz der Stadtgesellschaft bleiben. Im selben Moment, in dem die Betonpiste für den Verkehr gesperrt ist, verändert sich die Stadt, das Lebensgefühl, das Klima. Ab dann werden die Menschen die neuen Flächen in Besitz nehmen und ihre Umgebung selbst gestalten – gemeinsam, frei, kreativ, demokratisch, vielfältig, umweltbewusst. Das ist eine sehr romantische Vorstellung – aber wenn man die Welt zum Besseren ändern will, muss man sich positive Ziele stecken, oder?
Das Interview mit Theobald Fuchs führte Peter Schorr. B: NFSK e.V.
Weitere Infos und Fördermitgliedschaften unter nfsk.de. Live mitdiskutieren könnt ihr auf dem 2. Stadtkanal-Kongress am 22./23. September 2023 auf AEG.