Haus Knauerstraße 27 © Geschichte für Alle e.V.

Jüdisches Leben in Gostenhof – ein neuer Rundgang durch unser Viertel

Es ist keine Entwicklung der Postmoderne, dass Gostenhof heute zu den vielfältigsten Stadtteilen Nürnbergs gehört. Seine bis in das späte Mittelalter zurückreichende Geschichte eröffnet vielmehr das Bild eines Quartiers, das schon immer vielschichtig war: Barocke Gartenkultur traf auf Bayerns erstes Gaswerk, der kunstvolle Rochusfriedhof auf die Heilsarmee, die erste deutsche Eisenbahn auf Landwirtschaft und Handwerk. Während einige dieser historischen Relikte auch heute noch sichtbar sind, ist das reiche jüdische Leben, das Gostenhof über viele Jahrhunderte hinweg prägte, im Stadtteilbild nicht mehr präsent.

Dass Gostenhof für das jüdische Leben und das jüdische Leben für Gostenhof eine so zentrale Rolle spielte, hing mit der Lage des Stadtteils zusammen. Das burggräfliche Dorf entwickelte sich im Spätmittelalter um die heutige Gostenhofer Hauptstraße herum, befand sich also unmittelbar vor den Toren der Stadt. Die Lage vor dem Spittlertor hatte einen zentralen Vorteil: Gostenhof lag zwar nah an der bedeutenden Handelsstadt Nürnberg, Handwerk und Gewerbe unterlagen aber nicht den gleichen strengen Richtlinien. Gostenhof war deshalb auch nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus der Stadt am Ende des 15. Jahrhunderts ein wichtiger Umschlagplatz für jüdische Händler.

… bildete Gostenhof ein Zentrum der lokalen Industrialisierung und einen neuen Lebensmittelpunkt für viele Jüdinnen und Juden

Nachdem es ihnen ab 1850 wieder erlaubt worden war, sich in Nürnberg anzusiedeln, zog es viele jüdische Familien aus den umliegenden Landgemeinden in das 1825 eingemeindete Gostenhof, das sich im 19. Jahrhundert zu einem rasant wachsenden, dynamischen Stadtteil entwickelte. Neben Wöhrd bildete Gostenhof ein Zentrum der lokalen Industrialisierung und einen neuen Lebensmittelpunkt für viele Jüdinnen und Juden, mit deren Zuzug die fortschreitende Industrialisierung und der ökonomische Aufschwung Nürnbergs wiederum eng verschränkt waren. 1910 lebten im Stadtteil etwa 2700 Menschen jüdischen Glaubens, was einem Drittel der in Nürnberg lebenden Jüdinnen und Juden entsprach.
Haus Feuerweg 6 © Geschichte Für Alle e.V-Diesen spannenden Einblick in einen heute für viele weitgehend unbekannten Teil der Stadtgeschichte bietet der neu konzipierte Rundgang „Jüdisches Leben in Gostenhof“, der von „Geschichte Für Alle e.V.“ und dem „Forum für jüdische Geschichte und Kultur e.V“. entwickelt wurde. Er beleuchtet Alltag, Religion und Arbeit in einem Stadtteil, der schon immer unterschiedliche religiöse und soziale Milieus beheimatete, in den 1930er Jahren aber auch zu einem Ort der Verfolgung und Entrechtung wurde.
Der öffentliche Rundgang startet am 9. Juli, 15. Oktober und 19. November 2023 um 14 Uhr in der Gostenhofer Hauptstraße 17 und kann außerdem von Gruppen individuell gebucht werden. Weitere Infos und Tickets unter: www.geschichte-fuer-alle.de

T: Die Autorin Dr. Roxanne Narz ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Geschichte für Alle e.V.. · B: Geschichte für Alle e.V.

Bild oben: Bevor die Nationalsozialisten aus dem Haus Knauerstraße 27 das größte „Judenhaus“ im Stadtteil machten, produzierte der Fabrikant Max Moschkowitz im Rückgebäude mechanische Blechspielwaren.
Bild unten: Feuerweg 6. Nichts deutet heute mehr darauf hin, dass hier vor dem 2. Weltkrieg die Betstube einer kleinen Gruppe osteuropäischer Juden  untergebracht war.